Karl-Ludwig Langes lichte Bilder entschweben uns nicht.
Sie sind sinnlich und gegenwärtig.
Ihre gespachtelt gemalte Oberfläche ist rauh wie Borke
eines Baumstammes.
Aber diese Stofflichkeit wird uns durch Farblicht wieder
entzogen und aufgelöst
In dem Farblicht-Geschehen verdichtet sich die Farbmaterie
zu einem Zentrum, zu einer geahnten Figur.
Der Malprozess läßt die Figur zur Farbfigur werden.
Ohne Umriss, immer noch werdend, verletzbar ist sie
Schattenfigur.
Manchmal erscheint sie als hohle Stelle, negativ trotz ihrer
plastischen Stofflichkeit.
Karl-Ludwig Langes Malen ist das Sichaussetzen und das
Standhalten angesicht der Gefährdung des eigenen Ichs.
Daher ist sein Bild Spur auf einem offenen Weg, der ihm
zu gehen aufgetragen ist.

Johannes Geccelli



Karl-Ludwig Lange´s lambent pictures do not
float away from us.
They are sensuous and present.
Their scraped, painted surface is coarse like the
bark of a tree trunk.
But this materiality is denied us and dissolved
by coloring.
In the interaction of colors, the paint coalesces
to a center, intimating a figure. The painting
process turns the figure into a chromatic
figure.
Lacking outline, still becoming, the spectral
figure is vulnerable
Sometimes it appears as a hollow place, negative
despite its three-dimensional materiality.
Karl-Ludwig Lange´s painting is self-exposure and
perseverance in the face of peril to one´s own ego.
That is why his painting is a trace on an
indeterminate path that he has been called to
follow.

Johannes Geccelli





Versuch einer Annäherung

für Karl-Ludwig Lange

I. Johannes Geccelli schrieb 1996 über Karl-Ludwig Langes neuere Bilder einen sehr persönlichen, knapp gefassten Text, der in sachlich sensibler Wortwahl das nennt, was sich dem Betrachter bildher übermittelt. Wenn man so will: ein sprachlicher Seh- und Denkweiser für jene, die sich in mehr als nur kurzweiliger Blickschlenderei der hoch empfindsamen Kunst Langes annähern. Aber auch ein Text, der als klare Sprachpartitur das Thema für weitere gedankliche Paraphrasen und Variationen anstimmt.

II. Karl-Ludwig Langes Bilder sind von entschieden sinnlicher Realität: Lichte Bilder, die vibrieren wie lichtflirrende Luft in der Hitze. Visuelle Vibrationen: kurzwellige Impulse schwemmen bildher, wogen auf, durchfluten den Blick, überfluten den Betrachter und ziehen sich wie Meeresrückflut sogartig wieder ins Bildgeviert zurück, zurück in die Maloberfläche, die haptisch gespachtelte, taktil gemalte Materie ist – Stofflichkeit, plastisch modellierte Farbe auf Leinwand und Papier – nicht mehr und nicht weniger, um dann aufs Neue, konstant wie bei einem Pulsar, heranzuwellen, -zuwogen, -zufluten, zurückzuschwinden, zu entschwinden. Sinnlich vibrierende Realität: im künstlerischen Ausgang eine höchst sensitiv und subtil ertastete Lichtmalerei, deren malerische Substanz in der minimalen Nuance, in der geringfügigen Abwandlung und Kontrastierung von Farbtonigkeiten und taktilen Plastizitäten besteht.

Rosa, Ocker, lichtes Siena zu Schiefergraublau. Rötlich-Grau tritt aus Cölinblaugrau; Blaugrau tritt hinter Ocker – vibrierend, haptisch rissig, buckelig wie Borke, Narben, Schrunden, Gestein. Farbe ist nie als chemische Substanz eindeutig, ist immer in malerischer Bewegtheit zueinander, übereinander, untereinander, ineinander gemischt – ist imaginäre und imaginative Realität, ist als Licht, Dämmer, Schatten, als Wasser, Luft, Gestein und Erde für das Auge sinnenhaft schmeckbar. Der Malprozess ist das Ergebnis.

III. Die formalen Strukturen der Bilder von Karl-Ludwig Lange sind geometrisch einfach oft vage gehalten. Alles dient einem zentralen Anliegen: der aufsteigenden Senkrechten einer malerisch entstandenen, ertastet gemalten Figur. Ihr Umfeld ist oft ein nahendes und wieder entschwindendes Feld im Bildgeviert – mal unpräzis rechteckiges Binnenfeld, mal aureolenhaft aufdämmerndes, nach unten gespitztes Dreieck. Die prinzipielle geometrische Form verweht im Erscheinungsbild zur Andeutung, ist niemals konturierte Direktnennung, ist sensible Ansammlung haptischer Malspuren, die sich im langwierigen Malprozess um eine schemenhafte Figur ansammeln und die sich randhin auflösen: ein malerisch-energetisches Spannungsfeld, das in gleicher Weise auseinandertreibt und sich verdichtet.

Die zentrale Figur selbst: nie deutlich entzifferbar, malerisch immer nur als entschwindender oder nahender Schatten und Schemen einer menschlichen Figur erahnt – Erscheinung und schwindendes Scheinbild zugleich – zugleich geahnter Gewinn und Verlust. Ein beglückender und schmerzlicher Prozess der Imagination und der persönlichen Befindlichkeit.

Johannes Geccelli schrieb: „Karl-Ludwig Langes Malen ist das Sichaussetzen und Standhalten angesichts der Gefährdung des eigenen Ichs.“

Allgegenwärtig aber ist die vibrierende Sinnlichkeit dieser stillen Bilder, die uns durchwellt und erwärmt. Ihre Kraft, die uns mittels einer sensibel erspürten Farbstofflichkeit erreicht und die auf einem oft mühevollen Entscheidungsweg zwischen Sein und Schein Ahnung und letztlich Wahrheit erwachsen lässt, ist spiritueller, geistiger Natur.

Godehard Lietzow, Berlin 1996

 

To Fathom the Unfathomable

for Karl-Ludwig Lange

I. In 1996 Johannes Geccelli formulated a very personal, concise text that astutely identifies what comes across to the viewer in Karl-Ludwig Lange´s more recent pictures. For those who approach Lange´s highly sensitive art with more than just a casual glance, the account is a kind of linguistic guide to a way of seeding and thinking. As a clearly worded score, however, it is also a text that intones the subject for further notional paraphrases and variations.

II. Karl-Ludwig Lange´s pictures are of a decidedly sensous reality: lambent pictures that vibrate like air shimmering in the heat. The vibrations are visual. Short-wave pulsations flow from the pictures, ripple upwards, suffuse the eye, inundate the viewer, and retreat again into the picture like the backwash of waves, rush back into the surface of excoriated, haptically painted matter-material, sculpted color on canvas and paper, no more and no less-to surge a new, as constant as a pulsar, welling up, heaving, flooding, ebbing, and vanishing. It is sensouosly vibrating reality: highly sensitive and subtly executed highlight painting whose artistic substance lies in minimal nuance, minute gradiations and contrasts between shades, and tactile plasticities.

Pink, ocher, and light sienna ranging to slate-grayish blue. Reddish gray emerges from Cerulean bluish gray; bluish gray recedes behind ocher-vibrating, fissured, rough like bark, scars, cracks, rock. Paint is never definite as a chemical sustance; its hues are always blended toward, over, under, and through each other in costant painterly animation. It is both imaginary and imaginative reality for the eye to savor as light, dawn, dusk, shadow, as water, air, rock, and earth. The painting process is the result.

III. The formal structures of the pictures by Karl-Ludwig Lange are kept geometrically simple and often vague. Everything serves a central concern: the perpendicular figure that arises from the painting process, from a gentle, groping search. In many pictures, the figure is set in a field that appears to move toward the viewer and then disappear again. Sometimes it is an imprecisely rectangular inner field, sometimes an inverted triangle glowing like an aureole. The principal geometric form evaporates to a wisp, never assuming distinct contures. During the lengthly painting process, it builds up from palpable vestiges of paint that delicately collect around an ethereal figure and that dissolve toward the edges, creating artistic tension between energies of dispersion and convergence.

One is never able to make out the central figure clearly, only sense it as the retreating or approaching shadowy blur of a human figure-epiphany and evanescent phantasm alike, both portended gain and loss. It is a rewarding and painful process of imagination and personal state. As Johannes Geccelli wrote, "Karl-Ludwig Lange´s painting is self-exposure and perseverance in the face of peril to one´s own ego." But what is ubiquitous in these silent pictures is the vibrating sensuousness that tranfuses and warms us. Its power reaches us through a sensitive application of paint, nurtures presentiment and, ultimately, truth on an often arduous path of deciding between being and appearance. It is of a spiritual nature.

Godehard Lietzow, Berlin 1996

 

Gisela Burkamp: Karl-Ludwig-Lange

"Mit einem Kunstwerk muss man so verkehren wie mit einem Fürsten: Man muss warten, bis es einen anspricht". Ernst H. Gombrich sagte das, Respekt war ihm wichtig.Was aber, wenn Bilder "stumm und verschwiegen sind wie Gedanken, aber voller Inhalt und Bewußtsein," wie Walter Benjamin seine Erfahrungen zusammenfasste? Da kommen wir vom Allgemeinen zum Besonderen auch der Bildkunst von Karl-Ludwig Lange, die eine Einheit bildet aus der sinnlichen, ja haptisch erfahrbaren und damit doch wieder ansprechenden Präsenz von Objekt gewordener Farbe und Subjekt bezogener Kunst. Die Indikatoren sind auch hier Inhalt und Bewußtsein, und sie sin keineswegs stumm, sondern vernehmbarer Ausdruck dieser Malerei, in deren Zentrum der Mensch steht. Eine Malerei, die dem Menschenbild einen Ort gibt, der auf kreatürliches Sein wie auf Transzendenz gleichermaßen verweist. Lange gelingt es, eine höchst subtile Gleichung zwischen Leben und Tod aufzustellen, zwischen Anscheinen und Vergehen und das, so ist man zunächst geneigt anzunehmen, mit unerhört sparsamen Mitteln, die den Anspruch einer aufwändigen Malerei überlagern.

Der Maler stellt vereinzelte Figuren, kaum definiert in ihrer Körperlichkeit oder Geschlechtlichkeit, vertikal in der Mitte der Raumfläche. Der Begriff Raum-Fläche ist ein Widerspruch in sich, beschreibt aber exakt das Ergebnis malerischen Bemühens, durch übereinander gespachtelte, abgeschabte und von neuem aufgetragene Farbschichten in der Fläche Raum zu bilden, Tiefe zu schaffen und in diesem Tun Gedankengänge zu lagern, einen Existenzraum zu errichten, der die Figuren einhüllt; viel mehr noch: sie selbst verkörperlicht. Der Eindruck vom Umschlossensein von Farbfeldern und einem sich Befreien, sich Herauschälen wechselt. Die Augen werden sensibilisiert für Distanzveränderung, verweilen sie nur mit gebotener Intensität, mit Gombrichs eingefordertem respekvollem Schauen auf diesen Leinwänden.
Scheint sich künstlerisches Agieren auf das Bildzentrum zu konzentrieren, so gelingt das durch die Sorgfalt,mit der Lange diesem Focus einen Rahmen baut. Und es ist nicht ein Bauen, ein Planen, ein Wachsen von Verräumlichung im steten Dialog mit den Farbwerten, wenn Lange in vielen Überlagerungen von den Rändern her zu dieser Mitte vordringt? Farbschichten, die Raum und Leib bilden, ohne dass eine konkrete konturierte Trennung vollzogen wird, verbunden vielmehr durch Gestus und Licht, das sich in der schrundigen Oberfläche bricht, das in der Farbwirkung Hell und Dunkel definiert, das Schatten wirft und ebenso Schattendasein suggeriert?

Räumliche Zusammenhänge deuten Abhängigkeit an, sorgen auf der anderen Seite für Isolation. Oder umgekehrt, der Mensch erschafft sich seinen Raum, er selbst ist es, der Einfluss nimmmt auf dessen Beschaffenheit. Raum dringt in den Körper, Körper verbindet sich mit Raum, Wechselbezüge stabililsieren das Bildgefüge. Die visuell wahrnehmbare Helligkeit, die einen Körper umgibt, die Lichtsubstanz, wandelt sich schließlig in Lichtwert, in Aura und Lichtgloriole. Im Hineintauchen in die Tiefe des Bildes wird immaterielle Existenz durchscheinend und zeitliche Begrenzung erfährt eine neue Dimension.

Diese Assoziationen sind möglich, weil Lange seine Figuren mit durchlässigen Körperkonturen ausstattet, die in die geborstene, verkrustete Oberfläche des übrigen Bildraums übergehen. Das ist sein besonderes malerisches Vermögen, um Raum und Volumen in der Fläche zu binden und mit einer über die optische Definition hinausgehenden Aussage im Bild zu vereinen.

Nicht von ungefähr sind es gerade die Arbeiten von Bildhauern, die mir persönlich beim Betrachten der Bilder ins Gedächtnis gekommen sind. Peter Sommers Gebundene etwa, die inhaltlich aber einen ganz anderen Weg einschlagen, indem sie das Adam-Thema variieren oder Giacomettis gelängte, extrem ausgdünnte Figuren. Der Unterschied zu dem Schweizer Bildhauer wird besonders in dessen Grisaillenmalerei deutlich, denn er bleibt ganz Zeichner, der Figur und Raum stets linear auffasst, der ein Existenzskelett aus Linien wirkt. Zwar bevorzugt auch er Grautöne als stimmungswertende Tonigkeit, überlässt aber die Nuancierung der Fläche dem Licht auf seinen beeindruckenden Bronzen.

Lange schöpft die von Emotion gesättigte Ausdrucksvielfalt seiner Grau- und Blauwerte aus der Summe von Farbüberlagerungen. Und er lässt wie Wegzeichen die Schritte deutlich werden als Spuren des Entstehungsprozesses, der Aktion und Reaktion offenbar macht und zur Teilhabe auffordert. So erkennt man eine kaum für möglich gehaltene Polychromie, sieht rote, grüne und gelbe Einschlüsse, die der Strahlkraft des Bildes dienen. Mehr noch, das diffus und geheimnisvoll anmutende Farbfeld offenbart sich als Speicher von Energien, die aus der Farbhaut in den Raum dringen. Die poröse und kompakte Summe der unterschiedlichen Farbwerte speist eine eruptive Quelle bildmächtiger Kräfte. Kalte Zonen stehen neben warmen Passagen, zwischen denen Empfindungen fließen, die letztlich jene Verlässlichkeiten und Stärken verursachen, die in der menschlichen Mittelfigur ausgetragen und ausgehalten werden. Dieses Nichtfassbare vermittelbar zu machen, verleiht den Bildern ihre besondere Qualität. Die Stilisierung und die nur scheinbare Minimalisierung von der ich eingangs sprach, erweist sich in Wahrheit als opulente Malerei, die ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten gehorcht.

Achsiale Frontalität, im Verbund mit dem Verzicht auf gegenständliche Raumdefinition sind zwei der bildimmanenten Eigenschaften, die sich durch das malerische Werk ziehen, nachdem in den 80er Jahren hauptsächlich Liegende das Thema waren. Seitdem platziert Lange seine Figuren zwischen Farbblöcken und -feldern und verfestigt den Eindruck von Bild gewordenen, humanen Grenzsituationen und "Entselbstung", wie Hermann Hesse in Siddharta menschlichen Seins-Zustand benennt. Und dieser farbliche Gerinnungsprozess auf Zeichen und Symbol gipfelt in einem universellem Signum, dem Kreuz, das in aller Konsequenz dem Menschenbildnis an die Seite gestellt ist. Erst Ostern fand in der Berliner Matthäuskirche ein Kreuztriptychon von Karl-Ludwig Lange im Altarraum seinen Platz.

In den sogenannten Blindzeichnungen, von denen wir nur eine kleine Gruppe zeigen, bleibt dieser Künstler durchaus beim Thema, aber er ändert den Weg. Hier weicht die schrundige Fläche der Bilder einem tastenden, suchenden und doch wieder unbeirrten Strich in einen Netzwerk aus linaren Kürzeln. Dieses physiognomische Gerüst ist ebenso menschliche Spur wie der Farbabrieb oder der Abdruck von Figur auf der Leinwand, die sich so fragil und durchsichtig im Aquarell darbietet. Was die feste Farbmaterie eher einschließt als preisgibt, offenbart sich in der Zeichnung spontan und unmittelbar, nämlich der vergeistigte Ausdruck und der Verweis auf die Komplexität dessen, was Menschsein ausmacht. Und das Unaussprechliche folgt hier nicht allein den Linien in einem scheinbaren Chaos, sondern nistet in den Weißflächen dazwischen, durch die diese spröden und so vitalen Zeichnungen atmen. Die Blindzeichnungen sind Selbstbildnisse, und wie letztlich auch in der Malerei das Ich Anstoß künstlerischen Tuns ist, so geht in der Vollendung des Werks das Subjekt auf Distanz, wird ein Jemand, wird eine anonyme Figur im nicht karhographierbaren Lichtraum.

Programmatisch könnte man dieses Bemühen damit umschreiben, Existenz zu ergründen, die Flüchtigkeit des Lebens zu materialisieren in Farbe auf Fläche. Unter diesem Aspekt ist Langes Malerei parallel zur Philosophie zu orten und zwar buchstäblich mit ihr auf Augenhöhe. Vielleicht fühlen auch Sie nach dem Betrachten der Bilder ähnlich wie Karlheinz Nowald, nämlich "verändert, und empfindlicher geworden für Nuancen, und nicht nur für solche auf den Bildern."

Oerlinghausen, den 23. April 2004





Das Unmalbare malen

Anmerkungen zum Werk von Karl-Ludwig Lange

Johannes Beer

In den Schriften des Nikolaus von Kues geht es um das Erkennen Gottes und das Verständnis des tiefsten Wesensbegriffes. Die coincidentia oppositorum, der Zusammenfall der Gegensätze, ist dabei ein Grundgedanke der Philosophie des Cusanus. Er bezieht dies vor allem auf Gott, der eben einerseits das absolute Maximum ist, weil er allwissend, allmächtig und ewig ist, der aber andererseits in den kleinsten Dingen zu finden ist. Gott ist die Einheit aller Gegensätze. Wie die Einheit des Kreises sich in der Menge der Vielecke in geheimnisvollem und ewig unbegreiflichem Übergang auffaltet, so enthält das Eine die Vielheit, und Erkenntnis ist Entfaltung.

Aber kann man, abgesehen davon, dass man die geometrischen Beispiele des Nikolaus von Kues in Bilder umsetzt, wie sie zum Beispiel Max Bill gestaltete, diesen philosophischen Ansatz in Kunstwerken wiedergeben oder gar den Betrachtenden näher bringen? Kann man eine Gotteserfahrung eigentlich malen? Oder etwas allgemeiner gefragt: Wie kann man etwas, was man mit den Augen nicht sehen kann, so malen, dass andere es erkennen und nachvollziehen können? Wie kann man tiefste Erfahrungen und deren Spuren, die sie in einem hinterlassen haben, auf die Leinwände bringen?

Schon mit diesen einleitenden Fragen wird das Widersprüchliche im Werk von Karl-Ludwig Lange deutlich, das so gut zum Grundgedanken vom Zusammenfall der Gegensätze, der coincidentia oppositorum passt. Und so begegnen uns in seinen Bildern Erfahrungen und deren Spuren, die in Farbe auf die Leinwand gebannt sind. Das an sich Unmalbare wird von ihm gemalt. Und auch hier fallen die Gegensätze zusammen: das Große, das Unendliche und seine Wahrnehmung ist in den Darstellungen der einzelnen Werke enthalten und zu entdecken. Auch in den Miniaturen.

Mit schnellem Blick allerdings lassen sich diese Bilder nicht erfassen. Auch das haben sie mit den Schriften von Cusanus gemeinsam. Beide brauchen ein gründliches Hineinvertiefen um verstanden zu werden. Die Bilder verlangen ein ruhiges und differenziertes Schauen. Diese Arbeiten haben so gar nichts Plakatives, Schreiendes oder Vordergründiges, aber sie nehmen uns mit auf eine Reise zu den inneren Erfahrungen, auch Gotteserfahrungen.

Karl-Ludwig Lange kennt die Kunstgeschichte und die aktuelle Kunstszene sehr gut. Er setzt sich mit ihr intensiv auseinander, lässt sich von ihr inspirieren und greift Aspekte auf. So lassen sich Verbindungen zum Licht der Impressionisten ziehen, wie zum Beispiel zu den Bildern von Claude Monet. Die Stehenden lassen an Alberto Giacomettis aufragende, fragile Figuren denken. Und die entstehenden lichten Farbräume zeigen verwandtschaftliche Arten des Sehens zum Beispiel zu Bildern von Mark Rothko und zu denen von Johannes Geccelli. All das ist richtig und greift doch viel zu kurz, da Karl-Ludwig Lange ein sehr eigenständiger Maler ist, der gegen alle wirtschaflichen Zwänge einen konsequenten Weg geht. Es mag der Nachwelt vorbehalten sein, das Oeuvre kunstgeschichtlich genauer einzuordnen. Uns ist es vorbehalten, uns diesem besonderen Werk direkt zu nähern.

Liegen im Leiden

Nach einer einschneidenden Zeit durch eine schwere Krankheit hat sich das Malen von Karl-Ludwig Lange verändert. Erfahrungen aus dem Krankenhaus, dem langen Liegen, den erlittenen Schmerzen und der Todesnähe fließen anschließend in die Arbeiten ein und bestimmen die neue Thematik. Das Expressive und Gestische, das mit großen Bewegungen die vorherige Malerei prägte, tritt in den Hintergrund. Aus seinem eigenen qualvollen Erleben heraus gestaltet Karl-Ludwig Lange nun in einer Werkgruppe ab 1987 Liegende. Er bannt diese mit noch gestischen Pinselstrichen auf die Leinwand, aber immer ohne eine erkennbare Bewegung der Figuren. Stets sind sie am unteren Bildrand lang ausgestreckt dargestellt, und doch wirkt ihr Liegen sehr unterschiedlich. Mal ist es fast auflösend unter dunkel drohender Farbfläche, mal ruhend mit einem helleren Streifen hereinbrechenden Blaues, mal unter bleiernder Fahlheit oder in kühle Helligkeit ausgeliefert.

In diese Zeit fällt auch die Veränderung seiner Arbeitstechnik. Karl-Ludwig Lange trägt die Ölfarbe mit dem Pinsel und vor allem dem Spachtel dick und in vielen Schichten auf. Aber er kratzt auch immer mit dem Spachtel ab. Er schabt und traktiert das Bild, sodass immer wieder Neues entsteht und Verborgenes hervortritt. Mit hoher Konzentration und Geschwindigkeit kommt Farbe auf die Leinwand, um ebenso heftig wieder zurückgenommen zu werden, nicht ohne Spuren zu hinterlassen und das Bild weiter voran zu treiben.

Ebenfalls in dieser Zeit verlieren die Dargestellten bei Karl-Ludwig Lange alles Individuelle. Selbst wenn er Selbstbildnisse oder konkrete Personen im Hinterkopf hat, verzichtet der Künstler auf jedes persönliche Attribut. Alles Detaillierte, selbst die Grundelemente eines Gesichtes verschwinden hinter dem Ganzen der Figur.

Vom Liegen zum Stehen

Und plötzlich seit 1989 stehen die Liegenden zentral im Bild und werden zu Stehenden. Fast übergangslos verschwinden die Liegenden wieder aus dem Werk von Karl-Ludwig Lange. Nur in dem Triptychon "Altarbild: Leiden, Auferstehung, Sterben" von 1990 finden sich Stehende und eine Liegende zusammen. Dies Altarbild, das sich im Besitz der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz befindet, ist eines der Hauptwerke von Karl-Ludwig Lange.

Auf dem ersten Bild dieses dreiteiligen Altarbildes sieht man beim ersten Hinschauen nur Schwarz mit einem Stich ins Rote. Nach einiger Zeit des Betrachtens löst sich aber aus dem Schwarz eine Form. Immer deutlicher wird ein breites Kreuz sichtbar. Etwas rötlicher heben sich der mächtige Stamm und das aufliegende Querholz vom Hintergrund ab. Und in ihm löst sich aus den Schemen eine Gestalt. Gebeugt steht da eine menschliche Figur. Auch sie ist nicht ausgemalt, sondern in ihrer Fläche angedeutet, in ihren Konturen verschwimmend. Hier tritt den Betrachtenden ein leidender Mensch gegenüber, der gebeugt unter der Last wirkt und als ein Schatten in der Dunkelheit erscheint. Vielleicht ist diese Schattenfigur der Gekreuzigte, aber die Arme sucht der Betrachter vergeblich. Vielleicht ist sie aber auch jeder Leidende, gebeugt unter der jeweiligen Last.

Das zweite Bild dieses dreiteiligen Altarbildes ist nun ein gänzlicher Gegensatz zum Vorhergenden. Hier ist mit vielen Schattierungen Weiß auf Weiß in Weiß gemalt. Kaum wiederzugeben sind die dargestellten Nuancen im Licht. Nach der Dunkelheit des ersten Bildes schwappt dem Betrachtenden eine wahre Flut an Helligkeit entgegen. Sie überstrahlt, ohne zu blenden. Und wieder löst sich nach einigem Schauen ein Feld des Bildes vom Hintergrund. In anderen Farb- und Lichtnuancen als der Hintergrund erstrahlt eine Öffnung, ein Raum oder ein Durchgang. Und in diesem Licht steht eine ganz zurückgenommene Figur, eine Lichtgestalt. Hier ist natürlich, der Titel legt es nahe, Jesus Christus gemeint. Aber es ist doch auch wieder jede und jeder, der mit ihm auferstehen wird und durch ihn jetzt schon lebt.

Beim dritten Bild des Triptychons fällt auf den ersten Blick auf, dass hier die fast monochrome Fläche aufgebrochen ist. Wie ein Fenster durchbricht Blau das tiefe Dunkel. Das anbrechende Licht durchbricht die Finsternis, in der ausgestreckt von links nach rechts am unteren Bildrand eine menschliche Gestalt liegt. "Sterben" heißt dies dritte Bild, das bewusst nach dem Leiden und der Auferstehung angeordnet ist. Hier ist ein Mensch in seiner einsamsten Stunde dargestellt. Hier steht die Sterbestunde für das ganze Leben.

Alle drei Figuren dieses Triptychons, ob sie nun gebeugt oder gerade stehen oder liegen, verlieren alles Ausgemalte. Sie haben alles Individuelle verloren und treten den Betrachtenden doch gegenüber. Und im Betrachten wird deutlich, dass diese Figuren nicht in erster Linie Abbild sind, sondern direkt mit uns selbst zu tun haben.

Stehen im Licht

Seit 1989 begleiten die Stehenden nun Karl-Ludwig Lange und kehren in fast unendlichen Varianten in seinen Arbeiten wieder. Vielen Urlaubsfotos ähnlich findet sich immer wieder eine stehende Figur auf den Bildern. Aber keine Sehenswürdigkeiten oder Landschaften bilden den Hintergrund, sondern die Stehenden sind von Farb- und Lichträumen umgeben. Hier ist nichts Gegenständliches dargestellt. Landschaften im eigentlichen Sinne suchen wir vergeblich. Aber wie bei einem Urlaubsfoto, das zum Beispiel mich am Strand vor der Weite des Meeres zeigt, sofort mit der Erinnerung die Emotionen wach gerufen werden, so können dies auch die Bilder von Karl-Ludwig Lange. Das Erinnern an Gefühle, das Mit- und Nachempfinden von Emotionen wird uns in diesen Werken intensiv vor Augen gemalt.

Bei einigen Bildern löst sich nach einigem Schauen ein Lichtbereich auf dem hellen Grund. Um Nuancen heller öffnet sich ein Lichtraum. Und in diesem Licht steht diese Gestalt. Nur langsam löst sie sich auf vielen dieser Bilder für das Auge des Betrachtenden aus dem Dunst. Sie wird nie klar umrissen. Einzelheiten bleiben bei der Darstellung versagt und treten bei neueren Werken noch weiter zurück. Haben die Liegenden noch Arme (wenn auch anliegende) und Andeutungen von Gliedmaßen, werden die Figuren in Karl-Ludwig Langes Bildern immer schemenhafter. Und doch sind sie von ungeahnter Intensität. Sie vereinigen in sich die Spuren des Lebens.

Beim Betrachten ist eine räumliche Anordnung der Lichtfelder und der Figur in den Bildern von Karl-Ludwig Lange oft kaum möglich. Bei aller Tiefe und Räumlichkeit der Werke bleibt es oft unklar, ob eine solche Figur auf mich zukommt oder in der Tiefe des Raumes schwebt ohne zu entschweben.

Anders ist das nur bei den Arbeiten, bei denen das innere Licht- oder Farbfeld die Figur nicht umhüllt, sondern quer hinter ihr liegt, so dass die Stehende sich vor diesem Feld befindet und es im Vordergrund überragt.

Seelandschaften und Seelenlandschaften

In einer ganzen Reihe neuerer Arbeiten von Karl-Ludwig Lange, seit 2006 entstanden, sucht der Betrachtende die Stehenden vergeblich. Wie es bei den schon oben erwähnten Urlaubsfotos eigentlich nicht der im Vordergrund stehenden Person bedarf, damit die Landschaft, wie zum Beispiel die Weite des Meeres oder das Licht der See, ihre Wirkung entfalten und uns Stimmung und Emotion ins Bewusstsein zurückrufen, so haben auch diese lichten Räume und Landschaften auf den Bildern Karl-Ludwig Langes ohne jede Figur ihre ganz eigene Wirkung.

Über die Bezeichnung "Seelandschaften", die der Maler ganz bewusst gewählt hat, wird eine assoziative Verbindung zu Seeurlaubsfotos, zu entsprechenden betitelten Bildern der Kunstgeschichte bis hin zu Ralph Fleck und Werner Knaupp und nicht zuletzt zu den vielfältigen Erinnerungen der Betrachtenden hergestellt. Aber es geht Karl-Ludwig Lange auch hier selbstverständlich wieder nicht um reale Landschaften, sondern um innere "Landschaften", die aus Empfindungen, Spuren von Verletzungen und erlebtem Glück und natürlich aktuellen Gefühlen entstehen. Die andere Bezeichnung dieser Werkgruppe, die sprachlich zwar nah an der ersten ist, macht diese Malerei des Inneren deutlich: "Seelenlandschaften". Und so finden sich lichte Bilder, die sich beim Betrachten langsam aus dem Nebel des ersten Eindruckes herausarbeiten. Es eröffnen sich Räume mit Aufgewühltem und ruhigen Zonen. Nur die Abgründe und finsteren Ecken der einen oder anderen Seele bleiben uns in diesen Bildern erspart.

Das gemalte Unmalbare

Karl-Ludwig Lange malte von sich selbst und seinen leidvollen Erfahrungen ausgehend immer wieder Liegende, ja auch Sterbende, um schließlich zu den Stehenden zu wechseln. Sie sind nun nicht mehr Ausdruck des Leidens und Sterbens, nicht mehr Bilder der Vergänglichkeit, sondern der Überwindung. Stehen die Figuren erst noch in einem Rahmen, der genauso als Grab, in dem sie liegen, wie als Tür des Überganges oder Lichtraum wahrgenommen und gedeutet werden kann, sind die Bilder zunehmend von einem besonderen Licht geprägt. Das Grab liegt hinter dem Menschen und er tritt ein in ein Wechselspiel des Lichtes, das sich in so vielen Arbeiten dieses Oeuvres entfaltet.

Karl-Ludwig Lange malt - sicher unbewusst - nach dem Gedanken der coincidentia oppositorum. Er hat nie versucht, Gott in all seiner Größe auf die Leinwand zu bannen oder auch nur einen Teil seiner Herrlichkeit darzustellen. Aber er lässt den Betrachtenden in seinen Bildern etwas von einer Lebenserfahrung und eben auch Gotteserfahrung erspüren.